Hoch über den antiken Ruinen von Ephesos, inmitten duftender Kiefernwälder am Hang des Bülbül Dağı, liegt ein Ort der Stille und des Glaubens: das Haus der Mutter Maria. Für Christen weltweit ist es ein heiliger Wallfahrtsort – für Reisende ein Ort tiefer Ruhe und spiritueller Kraft. Die Geschichte dieses Ortes ist eng verwoben mit uralten Legenden, Visionen und archäologischen Spuren.
Der Überlieferung zufolge soll Maria, die Mutter Jesu, nach der Kreuzigung zusammen mit dem Apostel Johannes aus Jerusalem geflohen sein. Sie suchten Schutz in Kleinasien – in der Nähe von Ephesos, wo Johannes später predigte. Hier, so heißt es, lebte Maria bis zu ihrem Tod in einem einfachen Steinhaus auf dem Bülbül Dağı. Dieses Haus soll ihr Rückzugsort gewesen sein – verborgen vor der Welt, ganz der Stille und dem Gebet gewidmet.
Diese Geschichte geriet fast in Vergessenheit – bis zur Vision der deutschen Nonne Anna Katharina Emmerick im 19. Jahrhundert. Obwohl sie nie selbst im Heiligen Land war, beschrieb sie in tranceartigen Zuständen exakt die Lage und Gestalt eines Hauses nahe Ephesos, in dem Maria gelebt haben soll.
Die Visionen Emmericks wurden 1881 von zwei französischen Lazaristen-Mönchen verfolgt. Sie machten sich auf den Weg nach Anatolien – und fanden tatsächlich die Ruinen eines kleinen byzantinischen Gebäudes am Hang des Bülbül Dağı. Archäologische Untersuchungen bestätigten: Die Fundamente stammen vermutlich aus dem 1. Jahrhundert n. Chr., der Bau darüber aus dem 6.–7. Jahrhundert.
Der Vatikan selbst äußert sich zurückhaltend, toleriert jedoch seit 1896 die Wallfahrt. Papst Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. besuchten das Marienhaus – und unterstrichen damit seine Bedeutung für die katholische Kirche.
Wer das Haus der Mutter Maria besucht, spürt bereits auf dem Weg dorthin die besondere Energie: Der Wald schweigt, das Licht tanzt zwischen den Bäumen, und eine tiefe, friedliche Stille legt sich über die Seele. Das Steinhaus selbst ist schlicht, mit niedriger Decke, Altarnische und kleiner Kapelle.
Juden, Christen und Muslime kommen hierher, zünden Kerzen an, füllen gesegnetes Wasser ab und verweilen im Gebet. Auch im Islam gilt Maria („Meryem“) als heilige Frau – der Ort ist also interreligiös von Bedeutung.
Viele Besucher berichten von tiefen Momenten: Tränen der Rührung, plötzliche Klarheit, das Gefühl von Trost. Eine ältere Pilgerin aus Polen erzählte, sie habe jahrelang für ihren Sohn gebetet – und hier das Gefühl gehabt, gehört worden zu sein. Ein Imam aus Istanbul kam jedes Jahr, um seiner Mutter zu gedenken, die Maria besonders verehrte.
An der „Wunschmauer“ hängen Tausende von Zetteln – Bitten, Danksagungen, Gebete aus aller Welt. Man spürt: Hier sind Generationen von Hoffnungen verwoben.